Kultur- & Freizeit-Highlights unter der Lupe

Aktuelles

Highlights

24.10.2006

BALLERINA IN A WHIRLPOOL

...Werke von ISA GENZKEN,
RICHARD JACKSON, ROMAN SIGNER und DIANA THATER
aus der Hauser & Wirth Collection

30. SEPTEMBER – 19. NOVEMBER 2006
Kunsthalle Baden-Baden

Eine lebensgroße Puppe aus Polyester und Fiberglas, mit einem Ballettröckchen bekleidet, schwebt über einer geöffneten Waschmaschine, nur oben am Scheitel mittels eines Metallbolzens an Decke und Wand befestigt. Die Ballerina auf der Maschine steht still, das Bein zur Arabeske ausgestreckt, um im nächsten Takt zur Pirouette anzusetzen. Als Maschine mit menschlichen Zügen vollführt sie das Kunststück gleichförmiger und unaufhaltsamer Bewegungen. Sie umkreist – wie auch die weiteren Werke der Ausstellung – Fragen um Raum und Zeit, Betrachterrolle und Wahrnehmung.

Gleich vier international renommierte Künstler, die in der bedeutenden Hauser & Wirth Collection mit ebenso visionären wie spektakulären Werken vertreten sind, widmen sich intensiv diesen Fragestellungen. Gemeinsam ist den präsentierten Arbeiten von Isa Genzken, Richard Jackson, Roman Signer und Diana Thater die Auseinandersetzung mit dem Realraum, den sie neu definieren und inszenieren oder dessen Grenzen sie auf illusionistische Weise überwinden. Der Dynamik von Kreisbewegungen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Sämtliche Werke entfalten eine Dialektik von innen und außen, von Zentriertem und Exzentrischem, von Zirkulärem und Linearem. Der Betrachter, der sonst meist passiv seinen Standpunkt dem Werk gegenüber einnimmt, befindet sich hier im Zentrum des Geschehens. Er muss seinen eigenen Ort erst finden, muss sich bewegen, will er das jeweilige Werk vollständig erfassen.

Isa Genzken (geb. 1948) beschäftigt sich mit der Frage nach den Dingen, mit denen wir uns umgeben. Ihre Modelle phantasievoller Architekturen persiflieren die Schaufassaden, deren Frontalität die Künstlerin aufbricht. Die Modelle laden dazu ein, möglichst viele Ansichten zu erkunden. Bilder, die uns alltäglich umgeben, reiht die Künstlerin zu einem Fries an die Wand. Der Raum wird so zum Erfahrungsraum von Distanzen.

Sämtliche von Richard Jackson (geb. 1939) gezeigten Werke drehen sich buchstäblich im Kreis. Die Zeiger von 1000 Uhren innerhalb eines Raumes umrunden unaufhörlich das Zifferblatt und lassen so die Zeit zu einer physischen Erfahrung werden. Neben der eingangs beschriebenen »Ballerina«, die um ihre eigene Achse kreisend Farbe im Raum verbreiten könnte, stempelt ein Roboter Kreislinien auf Papier.

Dagegen befasst sich Roman Signer (geb. 1938) seit den frühen 1970er Jahren mit Naturgewalten, die er nutzt bzw. teils auch künstlerisch erzeugt. In Filmen und auf Fotografien dokumentierte Aktionen balancieren auf der Nahtstelle zwischen Natur und Kunst, Konstanz und Plötzlichkeit. Gefährlich und bedrohlich wirkende Situationen bergen Überraschungen in sich, wenn die Kunst dem Zufall und der Dynamik der Natur eine Hintertür offen lässt.

Auch Diana Thater (geb. 1962) thematisiert in ihren Videoinstallationen das Verhältnis von Kunst und Natur und bringt dies in der Beziehung zwischen Mensch und Tier auf den Punkt. Wenn die Tierwelt zu menschenähnlich erscheint, wie im Falle von Dressuren, sind wir gezwungen, unseren Standpunkt neu zu definieren. Die Künstlerin transformiert diese Herausforderung, Position zu beziehen, mittels Entfremdung und Verfremdung auf die Ausstellungssituation.

Die Ausstellung ist kuratiert von Michaela Unterdörfer (Hauser & Wirth Collection) und Fritz Emslander (Staatliche Kunsthalle Baden-Baden).
Zur Ausstellung erscheint im Snoeck Verlag ein Katalog mit einem Essay von Michaela Unterdörfer und einführenden Texten von Fritz Emslander, Karolin Kober, Sabine Sarwa und Barbara Wagner, sowie zahlreichen Abbildungen zu den ausgestellten Werken (dt. / engl., 120 S., 24 €, ISBN 3-936859-47-7).


Bilder: Isa Genzken


Isa Genzken

geboren 1948 in Bad Oldesloe, lebt und arbeitet in Köln.
Isa Genzken zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation. Ihr vielfältiges Werk umfasst Bildhauerei, Malerei, Fotografie, Film und Video. Seit den 70er Jahren hat sie eine schillernde Formensprache entwickelt, die sich auf die minimalistischen und konzeptionellen Strömungen des 20. Jahrhunderts bezieht und zugleich die Ästhetik ihres alltäglichen Umfelds reflektiert. Mit ihren komplexen Kunstwerken hat Isa Genzken den Diskurs der Gegenwartskunst maßgeblich beeinflusst.

Leone Battista Alberti erklärte das Bild in seinem Malereitraktat von 1435 als »fenestra aperta«, als Fenster, das die Kunst mittels der perspektivischen Konstruk-tion auf die sichtbare Welt öffnet. Den damit implizierten, strengen Abbildungs-charakter hat die Kunst allerdings nach dem Ikonoklasmus der Fotografie und der folgenden, kompletten Desillusion durch die zwei Avantgarden des 20. Jahrhunderts eingebüßt. Mit ihren Fenster-Plastiken verweist Isa Genzken auf diese Vertreibung mimetisch dargestellter Inhalte aus der Kunst. Anstatt des geschlossenen Volumens traditioneller Bildhauerarbeiten verwendet Genzken die offene Form, deren Zentrum leer ist. Was bleibt, ist zunächst der bloße Rahmen, also eine äußere Voraussetzung dafür, etwas zu sehen. Das Kunst-Fenster hört auf, eindeutig definierte Grenze zwischen einem Hier und einem tiefenillusorisch gezeigten Dort zu sein, in das sich der Betrachter hineinträumen kann.
Wenn auch Allusionen an alltägliche Erfahrungen von Architektur – das Fenster als optische Membran – die Arbeit begleiten, ist doch die Trennung zwischen Betrachterstandpunkt und Illusionsraum aufgehoben. An dessen Stelle tritt in Genzkens transparenter Konstruktion das reale Umfeld des Museumsraums. Die inszenierte Leerstelle regt zweierlei an: Reflexionen über den Ausstellungsraum als Ort, an dem der Künstler mit seinem Werk und sein Publikum aufeinandertreffen, darüber hinaus aber auch die Frage nach und das Spiel mit dem eigenen Standpunkt. Als Leitspruch für eine Ausstellung 1993 formulierte die Künstlerin: »Jeder braucht mindestens ein Fenster«.
Transparenz und Grenzüberschreitung sind auch Themen der Röntgenbild-Fotografien, die Isa Genzken selbst zeigen. Die nach dem englischen Begriff für die aggressive Bildtechnik genannten »X-Rays« gewähren Einblicke in das Innere des Körpers. Auch unter die Oberfläche schauen zu können, zeichnete immer schon den Porträtisten aus. Angesichts der nackten Knochen aber fühlen wir uns schmerzlich an unseren sterblichen Leib erinnert, der sich sonst nur als kranker der Durchdringung des Röntgengeräts aussetzt. In der makabren Tradition des memento mori stößt die Künstlerin auf den Tod an, der mitten im Leben steht, und nimmt ihr eigenes Ende vorweg.

zurück zur Übersicht